Respect my boundaries
„Die Performance „Respect my boundaries“ entstand aus dem Austausch mit der Künstlerin Ebtisam Abdulaziz, mit der ich im Juli 2023 im Studiospace Langestrasse in Frankfurt ausgestellte, und unter dem Einfluss einer ihrer Videoperformances. Der „Studiospace Langestrasse 31“ ist ein Projekt von Carolin Kropff, die hier Kooperationen und Austausch mit kuratorischem und künstlerischem Einfühlungsvermögen initiiert. https://www.carolinkropff.net/studiospace-langestrasse31/ebtisam-ablulaziz-eva-weingaertner
„Respect my boundaries“ ist nicht unabhängig von der Referenz an das „Safetypin-movement“ zu betrachten, das im angehängten Text von Angelika Horn erläutert wird.
„Respect my boundaries“ verarbeitet aber auch meine eigene Geschichte, die ich wie folgt beschreibe: „Die Performance betrachtet nicht den Moment, wenn die Situation schon aus dem Ruder gelaufen ist. Die Performance behandelt den Moment in dem die Dinge zu weit gehn, wir aber noch reagieren können, uns ermächtigen können, das aufrecht zu erhalten, was die Situation noch wenden kann.“
„The performance „Respect my boundaries“ emerged from an exchange with the artist Ebtisam Abdulaziz, with whom I exhibited at Studiospace Langestrasse in Juli 2023, and under the influence of one of her videoperformances. „Studiospace Langestrasse“ is a project by the artist Carln Kropff who initiated collaborations and exchanges with curatorial and artistic empathy. https://www.carolinkropff.net/studiospace-langestrasse31/ebtisam-ablulaziz-eva-weingaertner
„Respect my boundaries“ should not be viewed independently of the refrence to the safetypin-movement“, which is explained in the attached text by Angelika Horn. Respect my boundaries also deals with my own story, which I describe as follows:
„The performance is not about showing how things turn out when they are at their worst. The performance is about the point when things start to get too far.
It is about when there is still time to act, empower, and change the situation.„
„Respektiere meine Grenzen/ Ebtisam Abdulaziz und Eva Weingärtner in der Reihe des Studiospaces Lange Straße 31
von Angelika Horn
Eva Weingärtner führte an diesem Abend der letzten Einabendausstellung der Reihe „“ eine Performance auf: Sie stellte sich hin und schnitt mit einer Schere ein Rechteck aus ihrem T-Shirt aus, auf dem sich ein gedrucktes Motiv ihrer zeichnerischen Arbeit befand. Eine Art Fenster entstand, das den Blick auf den Körper freigab, gerahmt von den Resten des T-Shirts und dem dunklen Blazer, sowie von roten Tapes, die horizontal und vertikal auf dem Körper angebracht waren und der Orientierung beim Schneiden mit der Schere dienten, so daß im entstehenden Spalt zuerst das Rot sichtbar wurde.
Senkrecht von oben nach unten war auf dem Körper (da, wo das Brustbein liegt) das Wort RESPECT, darunter waagrecht in zwei Zeilen die Worte MY und BOUNDARIES zu lesen. Nachdem der Text im aufrechten Stehen präsentiert war, wurde das abgelegte T-Shirt-Stück wieder aufgenommen und mit Sicherheitsnadeln so wieder angebracht, daß das Statement des eigenen künstlerischen Motivs nun auf die körperzugewandte Seite zu liegen kam und durch die bei dieser Anbringung verblieben Spalten auf allen Seiten das Rot sichtbar blieb.
Die Künstlerin positionierte sich in ihrem Stehen mit dem Ausdruck ernster Gefaßtheit. Die Performance endete mit einem Lächeln von ihr. Die Grenzen des Subjekts sind zuerst die Grenzen des eigenen Körpers, die Unverletztheit des Körpers durch andere, weiterhin aber auch die anderen Grenzen des Menschen, wie solche seelischer und geistiger Natur. Es geht um die Unversehrtheit des menschlichen Subjekts, um seine Würde. Das Ganze dieser Perfomance ist ein Statement, das in Titel und Schrift behauptet ist. Die Handlung selbst verletzt die Kleidung, die dem Schutz des Körpers dient, um diesen und die Schrift freizulegen. Die „Reparatur“ wendet das eigene Künstlertum dem Inneren zu, so daß die symbolische Verletzung nur bedingt aufgehoben ist. Umgekehrt böte die ursprüngliche Positionierung auch nur den Schein einer Wiederherstellung. Es handelt sich um ein dialektisches Verhältnis.
Dieser realen Performance steht in der Ausstellung eine Videoperformance von Ebtisam Abdulaziz gegenüber, die als Malerin mit buntfarbigen Bildern räumlicher Illusionarität hervorgetreten ist, wo etwa farbige Flächen die Illusion aneinander- oder übereinander gebauter Würfel entstehen läßt, die in einem optischen Umkehreffekt plötzlich ganz anders aufgebaut scheinen. Hier nun sehen wir das Video „A safe person to approach“ von 2018. Eine liegende Frau im schwarzen Gewand, die Künstlerin selbst, befestigt relativ große Sicherheitsnadel in einer seriellen Struktur in ihrem Gewand, so daß es nach und nach ganz mit Sicherheitsnadeln versehen ist. In der liegenden Position ist es schwer, den Überblick zu bewahren, und doch ergibt sich eine Ordnung in Reihen. Die Hände, die wir beim Anbringen der Nadeln sehen, bleiben unverletzt. Die liegende Frau ist mit einem Band von Sicherheitsnadeln umgeben.
Der Titel der Aktion verweist auf den historischen Kontext, der mit ihr verbunden ist und der in der Internetpublikation des Videos von einem beigegebenen Text erläutert wird. Es geht um die Sicherheitsnadel-Bewegung, wo die Träger einer Sicherheitsnadel an der eigenen Kleidung damit bekennen, daß sie einem anderen Menschen in Not, in Situationen der Gewalt oder der Gewaltdrohung, beizustehen bereit sind bzw. diesen beistehen werden. Der Bedrohte kann sich also, etwa bei einer Busfahrt, an einen solchen Menschen mit Sicherheitsnadel wenden, und darauf vertrauen (hoffentlich), daß dieser dann auch helfen, schützen und unterstützen wird. Die Sicherheitsnadel steht als Symbol für die Sicherheit, die die sie tragende Person anderen zu gewährleisten bereit ist.
Während die Handlung der Performance von Eva Weingärtner ihre Bedeutung ganz in sich selbst enthält, verweist das Narrativ des Videos von Ebtisam AbdulAziz auf die zusätzlichen Information über die Sicherheitsnadel-Bewegung, die sich als solche nicht aus dem formalen Geschehen ergibt. Mit dem Kontext bedeutet das allmähliche Bestücken des ganzen Gewandes mit Sicherheitsnadeln die beständige Wiederholung einer im realen Leben dieser Bewegung ja nur einmal stattfindenden Aktion, was im Sinne einer Eindringlichkeit gedeutet werden könnte. Der Betrachter kann angeregt sein, sich selbst der Sichheitsnadel-Bewegung anzuschließen. Das Narrativ des Videos hat gleichwohl eine Unabhängigkeit von dieser Bedeutung seiner Kontextualisierung. Es zeigt eine konzentrierte Form des Selbstumgangs eines Menschen, eine selbstreflexive und ruhige Beharrlichkeit, eine selbstbewußte Selbstbestimmung. Das formal abstrakte Handeln, wie es auch in der Malerei der Künstlerin stattfindet, hat zugleich etwas Inhaltsfreies an sich und überzeugt in seiner formalen Genauigkeit. So stehen sich reale Statementperformance und selbstreflexives Narrativ im historischen Kontext in dieser Einabendausstellung asymmetrisch, einander ergänzend und einander antwortend gegenüber.
Eva Weingärtner, die auch als Logotherapeutin für Menschen mit existenziellen Anliegen arbeitet, thematisiert eigene existenzielle Fragen in ihren Performances. Existenzielle Fragen sind solche der eigenen Selbstvergewisserung des Subjekts in seiner eigenen Historie und der Historie seiner Eltern, seines Landes, seiner Lebensrealität. Nun hat Eva Weingärtner in der zeichnerischen Arbeit einen Weg gefunden, der mit „Wachsen und Gestalten“ umschrieben werden könnte. Die Einabendausstellung zeigt vier Blätter ihrer Hand, Bundstiftzeichnungen, die sie an freien Abend verfertigt, wo Formen einfach wachsen und diesem Wachsen gleichsam zugeschaut werden kann, ohne daß sich wieder feste und definierte Figuren ergeben. Es ergeben sich farbenfrohe Strukturen vegatabiler oder organischer Anmutung, Verschlingungen, die auf sich selbst führen oder weitertreiben, verstärkende Schattierungen, fadenartige Verbindungen und vieles mehr. Das Wachsen ist ein freies Formen aus der eigenen Individualität heraus und konstituiert darin die eigene Freiheit.“
©Angelica Horn; Frankfurt am Main 2023